Warum ich Klassische Musik liebe Impressum Startseite Schule Biografie Persönliche Anmerkungen zu Schuberts h-moll-Sinfonie Eigenartig! Da kennt man ein Stück schon jahrelang, jahrzehntelang, findet es großartig, romatisch, gefühlvoll, und doch hat   man nichts begriffen.  So ging es mir bis vor einigen Jahren mit der h-moll-Sinfonie; aber nicht nur mit diesem Werk, sondern auch mit anderen   Stücken vom Franzl. Seit ich mich näher mit Schuberts Instrumentalmusik beschäftige, höre ich tiefer in das Werk hinein.   Ich sehe die Linien zu den anderen großen Werken, zum d-moll-Quartett, zum G-dur-Quartett, zum C-dur Quintett und sogar   zur Winterreise. Leider ist die h-moll-Sinfonie populär geworden. Längst ist sie in Wunschkonzerten, in den „Greatest Hits“, in   „Musik zum Träumen“, in Filmmusiksequenzen und sogar in ohrgerecht portionierten Happen in der Werbung zu finden. So ist es   kein Wunder, dass sich die Verbraucher im Klang der schönen Melodien suhlen und auch gegen ein Duschbad im Dreimädelhaus   nicht einzuwenden haben.   Die Sinfonie ist zweisätzig, also unvollständig, unvollendet, ein Torso. Eine ordentliche Sinfonie hat vier Sätze. Warum hat Schubert   die Patitur nicht veröffentlicht? Sollte er sich ihrer geschämt haben, weil ihr etwas fehlt, das Scherzo und das Finale? Er hätte sie ja   vollenden können. Er hat’s ja auch probiert. Ihm fiel aber wohl nichts Gescheites ein. Das Scherzo bieb Fragment. Er gab zwar   seinem Freund Anselm Hüttenbrenner die Partitur zur Aufführung im Steirischen Musikverein, erwähnte aber später dieses   Werk nie mehr.  Die Sinfonie ist zu Schuberts Lebzeiten nie aufgeführt worden. Hüttenbrenner verbarg das Werk bis 1865!  Formal hält Schubert sich an die Vorbilder der Wiener Klassik. Dies gilt aber nicht für die inhaltliche Seite. Wie sollte Schubert auch   auf die Idee kommen, den werkimmanenten sinfonischen Habitus zu leugnen, in einer Zeit zumal, da Beethoven noch komponierte   und die Sinfonie die Gattung mit dem höchsten musikalischen (sozialen) Ansehen war. Doch beethovensche Entwicklungsinfonik,   das Werden und Entwickeln einer zyklischen Großform aus musikalischen Keimzellen war nicht Schuberts Anliegen. Er bediente   sich für seine Ausdrucksmusik des sinfonischen Gerüsts, auf dass seine Gefühle und Regungen nicht in einer amorphen Klangsuppe   ertrinken. Da für sein musikalisches Anliegen eine spezifische Thematik und Motivik erforderlich war, konnte sie einer beethovenschen   nicht entsprechen, da dieser ganz andere Prioritäten setzte, die vor allem formalästhetischer Art waren.   Beethoven war zwar das große Vorbild, aber es galt sich von ihm zu lösen. Dies gelang Schubert überzeugend in seiner h-moll-Sinfonie.   Die Sinfonie beginnt mit diesem Thema:  Dunkel und gewichtig (durch tiefe Lage und Abwärtsbewegungen) klingt es als Einleitungsgedanke, gefunden in den tiefsten Kellern   musikalische Thematik. Gleich darauf beginnt eine 16-tel-Bewegung, die mit ihrem zitternden Ostinato das nun einsetzende 1. Hauptthema   begleitet.  Ein merkwürdiges sinfonisches Hauptthema, bar jeder Kraft und Entwicklungsmöglichkeit, eine thematische Totgeburt, die nur durch   die unruhige Begleitung gestützt wird. Nicht in sich geschlossen und doch nicht offen genug, um aus sich heraus einen musikalischen   Prozess in Gang zu setzen, so erklingt es als fast unbedeutendes Hauptthema. Zwar gibt es sich lyrisch im Charakter, ist aber doch   eigenartig formelhaft. Der Grund liegt wohl in der Wiederholung des Motivs der ersten beiden Takte, ein kraftloses Motiv mit abfallender   Quinte. Unterstützt wird dieser Charakter durch die (mit Ausnahme des Schlusses) genaue Wiederholung des Themas. Werden zwischen   Thema und Wiederholung nur zwei düstere Sforzato-Takte eingeschoben, so wird der Schluss der Wiederholung fast gewaltsam gesteigert zu   zwei erregten Sforzato-Akkorden. Mit neuem Anlauf beginnt eine weitere Steigerung, deren abrupter Schluss rhythmisch in Blech und   Pauke akzentuiert wird; fast ein Gewaltakt! Und nun die Überleitung! Keine ordentliche, sinfoniegemäße Überleitung zum Seitensatz!   Ähnlich wie später im C-dur Quintett genügt Schubert als Überleitung ein hier über drei Takte ausgehaltener Ton (d), um dann mit   kürzester Modulation G-Dur zu erreichen. Dieses lange d wirkt hier quasi als Brücke zu einer völlig anderen Welt, dem beim ersten   Hören volkstümlich-heiter wirkenden 2. Thema.  Nicht D-dur, wie üblich, sondern G-dur ist hier die Tonart des 2. Themas. Auch diesmal zeigt sich wieder Schuberts Bevorzugung des   subdominantischen Charakters von 2. Themen im Sonatensatz. (G-dur = Subdominante von D-dur). Zur fast primitiven Synkopenbegleitung   von Bratschen und Klarinetten  wird die neue Melodie zunächst von den Celli vorgetragen.  Betrachte ich das Thema genauer, so spüre ich deutlich den Sog einer Kreiselbewegung. Es beginnt mit abfallender Quarte, schwingt   sich wieder hoch, kommt kaum über den Grundton hinaus, wiederholt den gleichen Aufschwung Ton für Ton und sackt zum Schluss    in sich zusammen. Als periodischer Nachsatz wird die Melodie nun über E7 nach a-moll hochgezogen und durch einen angehängten Takt   mittels Quintfall wieder nach G-dur rückmoduliert. Die Kreiselbewegung wird noch durch den Dreivierteltakt und die gleichförmig synkopierte   Begleitung unterstützt. Die Synkopierung verhindert das Absinken in eine schlaffe Gemächlichkeit. Sie gibt dem Abschnitt etwas unterschwellig   Drängendes. Nachdem das Thema auch von den Violinen „durchgenudelt“ wurde, steht es vor dem Nichts. Zwar könnte es wieder von vorn   beginnen, aber so geriete es in einen ewigen Teufelskreis.   Was blieb Schubert konsequenterweise übrig, als den Melodiekreis durchzuschneiden: ein Takt Pause - kaltes Schweigen - dann brechen   Fortissimo-Akkorde los und schichten sich übereinander. Anschließend wird das Schlussmotiv des Themas in den Streichern zwölf Takte   lang durchimitiert. Für einige Takte entsteht so ein recht verwobener Satz, der in einen von den Bläsern lang ausgehaltenen Akkord mündet.   Mit kurzen Pizzikatotönen steigen nun die Streicher wieder in den Keller und die ganze Exposition kann wiederholt werden. (Was viele für   eine sinfonische Schwäche Schuberts halten, sehe ich als Stärke: „An- und Abschwellen der Erregung, Schwanken und Zaudern, Nachlassen,   Erlöschen, Zweifeln, Aufsteigen (Ernst Bloch). Gerade in der folgenden Durchführung treten diese Charaktere stark in Erscheinung.   Ähnlich wie in der Exposition zum 2. Thema mit einem lang ausgehaltenen Ton übergeleitet wurde, so geschieht es auch bei der Überleitung   zur Durchführung, diesmal mit dem Ton h, so dass jetzt das gewichtige Einleitungsthema subdominantisch in e-moll erscheinen kann.   So ist es Schubert auch möglich, noch tiefer in die „dunklen Schächte eines Bergwerks“ (E. Bloch) zu fahren.  Durch Sequenzierung des Kopfmotivs wird die Spannung gesteigert. Die Musik gerät in Rotation, verstärkt durch Akzentverlagerungen.   Die Passage mündet in einen cis-moll-Akkord, der zunächst fortissimo, dann leiser werdend abwärts geführt wird und in die synkopische   Begleitung des 2. Themas einfließt. Erneuter Aufschrei, diesmal mit vermindertem Septakkord und Abwärtsfall über vier Takte. Nochmals die   Synkopenbegleitung auf höherer Stufe und anschließend ff-Akkorde mit Abwärtsgang, als könnte sich die Musik nicht genug ausschreien.   Nach vier weiteren Synkopentakten erscheint dann aber im Fortissimo das Einleitungsthema, wobei es in den letzten Takten nicht wie zu   Anfang abfällt, sondern sich gewaltsam hochreißt. Der folgende Teil zeigt starke Erregung. Fast choralartig tragen die Bässe den Kopf des   Einleitungsthemas vor und sequenzieren dieses Motiv. Die Holzbläser imitieren es.; dazu flimmern in den Streichern unruhige 16-tel-Figuren.   Mit mehrmaligen Wiederholungen und Sequenzen des Themenschlusses in den Bässen wird der „Choral“ fortgesetzt, imitiert von den   hohen Streichern, Flöte und Klarinette. Die anderen Instrumente beunruhigen das Geschehen noch stärker durch punktierte Rhythmen,   die in dieser Art zum ersten und einzigen Mal in der Sinfonie erscheinen. Das Ganze mündet nun in die klageschreiartigen Akkorde,   die schon kurz nach Beginn der Durchführung zu hören waren. Aber keine neue Rotation beginnt, sondern ein gewaltsames Aufrütteln,   ein Sich-am-Riemen-Reißen, unterbrochen durch einen Quartseufzer, der dann nach abermaligem Aufbäumen nochmals erscheint und dann   in 8-tel-Bewegungen ausläuft. Hier erklingt wohl die einzige Reminiszenz an das erste Thema der Exposition innerhalb der Durchführung.  Die Reprise ist in sich etwas unruhiger gehalten als die Exposition. Tonartlich ist sie anders angelegt. Nicht zur gleichnamigen Durtonart   (im Seitensatz H-dur) wird moduliert, so wie es üblich ist, sondern in Art einer Exposition zur Dur-Parallelen D-dur. Erst später, nach den   Sforzato-Akkorden (T.312) erscheint das Thema in der „richtigen“ Tonart H-dur. Die Coda in h-moll erinnert nochmals an die Durchführung.   Fast resignativ erklingt das Einleitungsthema zunächst vollständig, später auf ein Klagemotiv reduziert. Ein letztes Aufbäumen bricht mit   dunklen Moll-Akkorden in sich zusammen.  Wenn man bedenkt, dass das Komponieren für Schubert die einzige Möglichkeit war, seine innersten Gefühle den Menschen mitzuteilen,   dass sein wahrhaft nicht glückliches Leben und seine Leiden (Krankheit, Armut, Beziehungen zu Frauen, Zeitgeist) nur durch die Musik   kompensiert wurden, so gewinnen seine Werke für uns etwas Tröstliches und zutiefst Menschliches. Hab’ drum keine Lust, den 2. Satz, eine   Musik von transzendenter Schönheit, Takt für Takt durchzukauen. Deshalb hier nur einiges zum Charakter und zu den Themen.   Einerseits hebt sich der 2. Satz merklich vom 1. ab, andererseits bilden die beiden Sätze aber eine vollkommene Einheit; der zweite scheint   aus dem ersten hervorzugehen. E-dur, wieder die subdominantische Tonart! Die Subdominante besitzt einen sich von der Tonika   abstoßenden Charakter, einen „welthinausfliehenden“ (wie es in einem Schubertlied heißt), und doch durch einen gemeinsamen Ton der   Tonika verhafteten.Die Themen des zweiten Satzes sind wie aus einer anderen Welt. Das erste ist ein weiches, lyrisches Gebilde, das sich   wölbt und neigt und dessen 16-tel-Schluss sich wie eine freudige Erwiderung des Vordersatzes verhält.  Wunderbar dazu bei den Einleitungs- und Zwischenakkorden die Pizzicato-Bässe. Himmelstau, Sehnsuchtstropfen? Alles unzulängliches   Gesülze. Dies ist Schönheit, die nur in Begrifflosigkeit erfahrbar wird, im Gefühl. Fixiert man sie mit Worten, Begriffen, Bildern, wird sie   fassbar, verfügbar, schwerfällig, klebrig. Hier darf man nur noch hören, fühlen, ahnen.  Durch die Fortestelle nach dem lyrischen Thema kommt ein Moment der Diesseitigkeit, der Zielstrebigkeit, ja des „Auf-etwas-zu-Schreitens“   (trotz des Dreiertaktes) in den Satz. Aber das lyrische Thema dominert und löst die kurze Fortestelle mit ruhiger, weicher Gesangslinie ab.   Wie schon im ersten Satz, so wird auch hier die Überleitung zum Seitensatz auf einen lang gehaltenen Ton, der nach zwei Takten in die   obere Oktave verlagert wird, reduziert. Dem 2. Thema ist ebenfalls eine Synkopenbegleitung unterlegt. Man spürt ein deutliche   Erregung und im Thema selbst ein Aufblühen der Melodie.   Und nun das Nachklingen eines punktierten 16-tel-Motivs! Eine Musik jenseits allen begrifflichen Charakters. Deshalb wohl auch Des-dur,   statt Cis-dur.  Wuchtig und wütend bricht in der Durchführung Realität ins fast Transzendente. Doch anders als im ersten Satz bleibt sie nicht beherrschend,   sondern zeigt sich nur episodenhaft und weicht zunächst der lyrischen Grundstimmung beim Eintritt in die Reprise. Zwar bricht dieser   harte ruppige Teil zu Beginn der Coda nochmals durch, wird aber wieder vom lyrischen Thema zurückgedrängt. Der transzendente   Charakter des ersten Themas wird gegen Schluss besonders deutlich, da es hier durch enharmonische Verwechslung in die Mediante   As-dur gerückt wird. Es ließe sich noch soviel dazu sagen, vor allem im strukturellen Bereich, z.B. was die Verwandtschaft der Themen   in beiden Sätzen betrifft. Schuberts Musik ist reich an Schönheit, die aber immer wieder in Frage gestellt wird. Sein Grundmotiv ist der   Zwiespalt zwischen Realität und Sehnsucht. Das Symbol des Wanderns, des Suchens erfährt durch seine Musik eine zentrale Bedeutung;   man denke nur an das Lied „Der Wanderer“ („dort wo du nicht bist, dort ist das Glück“).