War für Werther der Wagen mit seiner Deichsel das liebste aller Gestirne, so ist es für mich von Kindheit an der Orion,
der große Himmelsjäger mit seinen Gürtelsternen und dem bemerkenswerten Schwertgehänge. Immer wieder
schaute ich im Winter in südliche Richtung und freute mich jedes Mal, wenn ich ihn, wenn auch nur oft zwischen Wolkenlücken,
am Firmament erkannte. Mit meinem winzigen Kaufhausfernrohr (2 Zoll) beobachtete ich den Orionnebel und
staunte, dass ich mit solch bescheidenen Mitteln die Geburtsstätte von Sternen erkennen konnte.
Einmal bekam ich von meinen Eltern zu Weihnachten ein neues Fernrohr geschenkt, ein Spiegelteleskop mit
Rektaszensions- und Deklinationsachse. Ich war begeistert. Gerade diese beiden fremdartigen Wörter habe ich immer
wieder vor mich hingesprochen. Ich fühlte mich schon als richtiger Astronom, der später mal auf dem Mount Palomar
Observatorium Dienst tut. Am ersten Weihnachtstag baute ich am Abend mein Teleskop im Garten auf. Der Himmel
war sternklar und es fror. Ich hatte mich warm angezogen. Nur Handschuhe trug ich keine, da sie mir beim Hantieren
mit dem Teleskop hinderlich waren. Von irgendwo her wehte mich der Duft von Lebkuchen an. Aus dem Nachbarhaus
vernahm ich einzelne Klangfetzen von „Stille Nacht“, die sich mit den Klängen des Weihnachtsoratoriums aus unserem
Wohnzimmer mischten.
Da ich mich schon recht gut am Himmel auskannte, fand ich auch schnell die Objekte, die mich interessierten.
Gegen 19.00 Uhr erblickte ich tief im Südwesten Saturn und richtete mein Fernrohr auf ihn. Zum ersten Mal sah ich
deutlich die schönen Ringe, zwar sehr klein, aber ich konnte sie erkennen. Jupiter befand sich zwischen Widder und
Stier und ich beobachtete seine vier Monde und die Wolkenbänder auf dem Planeten. Der Frost biss mir in die Finger,
doch ich ignorierte den Schmerz. Kurz vor Mitternacht stand der Orion wundervoll im Süden. Sogar die Wintermilchstraße
links neben den Sternbild war andeutungsweise zu sehen. Ich stellte im Fernrohr den Orionnebel ein und war
hingerissen von dem Anblick, der sich mir bot. Lange schaute ich den herrlichen Gasnebel an. ‚Großer Herr, und
starker König...‘ klang es an mein Ohr. Immer wieder schaute ich zu dem schönen Sternbild auf. Ich erinnere mich,
in die Nacht gerufen zu haben: ‚Du lieber, lieber Orion!‘ Dann blickte ich wieder durch mein Teleskop und betrachtete den
Nebel. Ich hätte am liebsten alle Leute aus ihren warmen Stuben geholt und ihnen den Orion mit dem schönen Gasnebel
gezeigt. Meine Mutter muss mich wohl gehört haben. Ich lief zu ihr hin und bat sie, zum Teleskop zu kommen. Sie
zog sich einen Mantel über und folgte mir zum Fernrohr. Ich erklärte ihr die Gestalt des Sternbilds und schwärmte von
dessen Schönheit. ‚Die drei schrägen Sterne, ist das der Orion?‘ fragte sie nach einer Weile. Ich war verzweifelt und
erklärte ihr nochmals die genaue Konstellation. Im Fernrohr stellte ich nun den Orionnebel scharf, erzählte ihr etwas
von kosmischen Gasen und Sternentstehung und forderte sie auf, durch das Teleskop zu blicken. „Na, ist
das nicht fantastisch?“ fragte ich sie. Sie guckte, gähnte, schüttelte sich und sagte: „Es ist aber kalt heute Nacht.
Willst du dir nicht noch einen Schal anziehen? “
Da selbst meine Klassenkameraden nur Tanzkursus und Mädchen im Kopf hatten, gab ich mangels Resonanz mein
Hobby auf. Erst 30 Jahre später wurde mein Interesse anlässlich einer Chorreise nach Südfrankreich wieder geweckt.
Ich trat in den Verein Krefelder Sternfreunde ein, kaufte mir ein C11 und machte damit herrliche Beobachtungen und
zunehmend auch Astrofotos.
In all den Jahren, in denen ich nicht aktiv beobachtete, schaute ich doch jeden Winter zu meinem kosmischen
Liebling auf und erfreute mich an dem schönen Anblick.
In den letzten Jahren bin ich in den Sommerferien jedes Mal nach Namibia gereist und habe dort den Südhimmel
beobachtet und fotografiert. Gegen Morgen stieg am Osthorizont immer ein strahlender Schmetterling in die Höhe,
mein lieber Orion. Doch bald schon verblasste er, da ihn die Morgendämmerung einholte.
Ihn einmal hoch über mir auf dem Kopfe stehen zu sehen, war seitdem mein Wunsch.
In den letzten Weihnachtsferien (2002/03) reiste ich mit meiner Frau wieder nach Namibia. Wir besuchten die Farm
Hakos und feierten mit Walter Straubes Familie das Weihnachtsfest im Sommer bei 320 Celsius.
Die Farm liegt etwa 230 südlicher Breite. Und so war es für mich ein eigenartiges Gefühl, zu Weihnachten um die
Mittagszeit die Sonne im Zenit stehen zu sehen. Mein Schatten war dann nur zwischen meinen Füßen zu erkennen.
Abends ging die Sonne etwa um 19.40 Uhr unter. Als ich gegen 20.30 Uhr vor die Tür des Farmhauses trat und zum Himmel
schaute, stand ich starr vor Staunen angesichts des prachtvollen Anblicks, und das, obwohl meine Augen noch nicht an die
Dunkelheit adaptiert waren.
Da stand mein Lieblingsbild, der Orion, hoch im Nord-Osten und sein „Gewand“ war durchwirkt von Hunderten Sternen.
Rechts neben ihm das leuchtende Band der Milchstraße. Mit jeder Stunde stieg das Sternbild höher, bis es um
Mitternacht hoch im Norden kulminierte. Merkwürdig verzerrt sah es aus, das vertraute Bild. Die Gürtelsterne hatten
zwar eine ähnliche Schräglage wie in Deutschland, aber Beteigeuze stand jetzt unten rechts und Rigel oben links. Das
Schwertgehänge befand sich oberhalb der Gürtelsterne und die Milchstraße befand sich auf der rechten Seite. Ich
stellte mich nun in Richtung Süden und legte meinen Kopf weit in den Nacken. Da war sie nun wieder, die vertraute
Konstellation, die mich im europäischen Winter seit Jugendtagen begleitet hat: das Wintersternbild Orion.
Drehte ich mich wieder nach Norden, so erblickte ich das namibianische Sommersternbild Orion. Hatte ich ihn im Juli
von dieser Stelle aus tief im Osten vor der Morgendämmerung im winterlichen Wüstenfrost
nur kurz beobachten können, so vertiefte ich mich jetzt bei angenehm warmen
Temperaturen stundenlang in seinen Anblick.
Auf der Beobachtungsstation der IAS, die etwa 150 m westlich des Farmhauses liegt, beobachtete und fotografierte
ich in den nächsten Tagen mit dem C14. Das Fotografieren machte mir nicht so großen Spaß wie in den letzten Jahren, und
ich legte diesmal mehr Gewicht auf das Beobachten. Häufig erschienen nachts auch große dunkle Flecken am Himmel.
Wolken! Da sie von unten nicht durch das Licht der Städte angestrahlt werden, erscheinen sie wie schwarze Löcher gegen
den leuchtenden Sternenhimmel. So musste ich häufig in der Nacht das Schiebedach der Sternwarte schließen und bevor
sich noch der Orion im Westen auf die Seite legte, alle Himmelsbeobachtungen beenden.
Jetzt stehe ich nachts oft vor meiner Wohnungstür und sehe die traurige Gestalt des Orion hoch im Süden stehen.
„Wie kümmerlich er aussieht“, denke ich und ich wünsche mir ein schnelles Flugzeug, das mich in den Süden bringt, bis
das Sternbild hoch am Himmel auf dem Kopfe steht.
Orion
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