Windhoek, Cuno Hoffmeister-Gedächtnis-Sternwarte, 9. Juli, 1996, 17.30 Uhr.  Vom Erdschatten, südlichem Kreuz und entzückendem Skorpion Der lila-graue Streifen am Osthorizont ist der Erdschatten. Von Minute zu Minute hebt er sich höher,   wird blasser und verliert sich im graublau der Dämmerung. Jupiter ist tief im Osten schon deutlich zu   sehen. Alpha Centauri hoch im Süden ist der erste Stern, den ich erkenne, Beta nur wenig später. Ich   schaue mich um. Steil im Norden erblicke ich Arkturus. Ganz deutlich zeigt sich nun rechts neben Alpha   Centauri das Kreuz des Südens. Allmählich erscheinen auch die anderen Sternbilder. Mit zunehmender   Dunkelheit erkenne ich die Milchstraße, die von Süd-Westen über Carina, Kreuz, Centaurus in den   Schützen verläuft und weiter im Nord-Osten hinter einem Berg verschwindet, dort, wo der Schwan bald   aufgehen muss. Zwei, drei Minuten orientiere ich mich am Firmament. Dann kenne ich mich aus. Irgend   ein Sterngucker hat mal behauptet, die Orientierung am Südhimmel würde jedem zunächst sehr schwer   fallen. Selbst vertraute Sternbilder wären nur schwer zu erkennen. Dem kann ich nicht zustimmen. Im   Westen stürzt gerade der Löwe kopfüber hinter die Berge. Die drei Sterne am Nordhorizont? Na klar, das ist die Deichsel vom großen Wagen. Bootes und nördliche Krone sind problemlos zu erkennen, ebenso Herkules, der hier auf dem Kopf steht. Das Sternbild schräg über meinem Kopf versetzt mich in wahres   Entzücken: Skorpion! Nun kenne ich den Skorpion schon von Deutschland und Frankreich her. Bei uns zu   Hause verschwindet er meist im Dunst. Antares kann man noch gut beobachten, aber alles was „drunter“   ist, nicht mehr. Erst in Süd-Frankreich sah ich das Sternbild vollständig, wobei der „Schwanzbogen“ des Skorpion dem Horizont sehr nahe kam. Aber hier in Namibia muss ich schon den Kopf in den Nacken legen, um das Sternbild zu betrachten. Daneben der Schütze mit strahlender Zentrumswolke.   Vom Silberband, kosmischem Lichtkegel, merkwürdigen Tieren und Geräten Jetzt, bei völliger Dunkelheit zeigt die Milchstraße ihre ganze Pracht. Wie ein Silberband zieht sie sich   über das Firmament. Ein zarter Lichtkegel strahlt  vom Westen hoch bis in den Zenit. Nein, die   Dämmerung ist längst verschwunden. Es ist das Zodiakallicht, kosmischer Staub entlang der Ekliptik,   der von der Sonne beschienen wird. Was die bei uns nicht sichtbaren südlichen Sterne betrifft, so   sehe ich sie heute zum ersten mal. Auch ohne Sternkarte erkenne ich sofort das südliche Kreuz,   Centaurus und Carina. Ich habe mir die Sternbilder zu Hause genau eingeprägt. Dort hinten am   südwestlichen Horizont geht gerade Canopus unter. Etwas weiter links davon, das schwache, nebelige   Fleckchen, das kann nur die große Magellansche Wolke sein.   Wega ist aufgegangen und es wird empfindlich kalt. Ich muss mir einen Pullover unter meine Jacke ziehen.   Über den Süd-Ost-Horizont steigt gerade der Kranich empor. Faszinierend: Wie mit dem Lichtschalter   an- oder ausgeknipst erscheinen oder verschwinden die Sterne am Horizont. Zur weiteren Orientierung   benutze ich die Sternkarte: Lupus, Musca und Pavus erkenne ich sofort. Schwieriger zu finden sind   Oktans, Circinus  Norma, Ara, Telescopium und Triangulum australe. Schräg über mir gegen Westen   leuchtet Spica und im Osten erkenne ich schon das Dreieck des Steinbocks.   Von Milchsuppe, Zucker auf Samt und flammendem Inferno Nun richte ich das C 14 auf Omega Centauri. Die Spannung steigt. Ich schaue durchs Okular und erkenne   eine milchige Suppe. Also erst fokussieren. Der Anblick, der sich mir nun bietet, lässt mich leise   aufschreien: Das Gesichtsfeld ist übersät mit Myriaden winziger Sterne; Zuckerkristalle auf schwarzem   Samt. Ich kann mich kaum losreißen von dieser Erscheinung.  Etwas nördlich muss die Galaxie Centaurus   A stehen. Sie ist schnell gefunden. Deutlich heben sich dunkle Staubstreifen von der hellen Galaxie ab.   Nun zu Eta Carinae. Dieser riesige Wasserstoffnebel überschreitet bei weitem das Gesichtsfeld.   Ich versuche, den ganzen Nebel „abzufahren.“ Überall erkenne ich noch Filamente und Ausfaserungen.   Dies alles möchte ich in den nächsten Tagen fotografieren. (Zu dem Zeitpunkt wusste ich noch nicht,   welch flammendes Inferno gerade dieser Wasserstoffnebel auf dem Dia-Film erzeugte.)  Nun ist auch Deneb aufgegangen. Das Sommerdreieck steht auf dem Kopf, das ist doch klar. Wir   sind hier nahe dem südlichen Wendekreis. Von Unterhosen, Pudelmützen und Kältetoten  Jetzt möchte ich die ersten Fotos machen. Die eisige Kälte hindert mich zunächst. Sonja gibt mir eine   Skijacke. Sie passt nicht. Ich bin zu dick. Also noch ein Oberhemd mehr anziehen. Da ich keine langen   Unterhosen mitgenommen habe, ziehe ich eine Schlafanzugshose unter die Jeans. Sonja leiht mir noch   eine Pudelmütze. So, das muss reichen, denke ich. Omega Centauri wird 20 Minuten belichtet. Ich muss   beim Nachführen oft korrigieren. Aber die Kälte macht mir zu schaffen. Irgendwo bei Johannisburg   erfrieren jetzt Menschen, auf den Passstraßen bleiben Wagen im Schnee stecken, an der Küste kratzen   Autofahrer Eis von den Scheiben und auf einer Farm werden -13 Grad gemessen.   Von kosmischer Kälte, Sternfeldaufnahmen und einer Zimmergruft Wenn ich weiter beobachten will, muss ich auf’s Ganze gehen, die kosmische Kälte zwingt mich dazu:   Schlafanzugshose, Freizeithose, zwei Paar Jeans übereinander, zwei paar Socken, Schlafanzugsjacke, zwei Cordhemden, Pullover, zwei Windjacken, Pudelmütze. „Dieser Winter ist hier ungewöhnlich kalt   und die Sicht ganz hervorragend“, sagt Sonja. Nun mache ich zunächst einige Sternfeldaufnahmen. Weitwinkel: Centaurus - Crux - Carina;   Skorpion - Schütze; Sommerdreieck. Dann einzelne Sternbilder: Kreuz, Centaurus, Skorpion, Schütze,   südliche Krone, Steinbock, Wassermann, Kranich. „Nichts überstürzen“, denke ich. „Du hast die ganze   Woche Zeit. Und wenn du nach der Namibia-Rundreise in drei Wochen wiederkommst, hast du   nochmal einige Tage, um Sterne zu fotografieren. Bis dahin hast du auch die Filme in Windhoek entwickelt.  Kurz vor Mitternacht mache ich noch einige Aufnahmen vom Jupiter, der im Zenit steht.  Kälte und Müdigkeit zwingen mich nun, ins Bett zu gehen. Das Zimmer ist eine Gruft. Es hat keine Heizung   und liegt zur Südseite, wo tagsüber nie die Sonne hinkommt. Aber Pullover, Schlafanzug und Freizeithose,   Plumeau, zwei Decken und eine Wärmeflasche lassen mich dann doch ruhig einschlafen.    Eine Sternennacht in Namibia  Impressum Startseite Schule Biografie