Zunächst wollte Weihnachtsstimmung nicht aufkommen. Seit einem Jahr freute ich mich darauf,
einmal Weihnachten im Sommer zu erleben:
Brennend heißer Wüstensand, ausgedürrtes, karges Land, Mittagssonne im Zenit, macht wohl einen
Unterschied zur dunklen, deutschen Weihnachtszeit, wenn es regnet oder schneit.
Und dann der Orion, mein Liebling!
In den letzten Jahren bin ich in den Sommerferien immer nach Namibia gereist und habe dort
den Südhimmel beobachtet und fotografiert. Gegen Morgen stieg am Osthorizont immer ein
strahlender Schmetterling in die Höhe, mein lieber Orion. Doch bald schon verblasste er, da
ihn die Morgendämmerung einholte. Ihn einmal hoch über mir auf dem Kopfe stehen zu sehen,
war seitdem mein Wunsch. Das muss man sich mal vorstellen, der Orion auf dem Kopf, meine
Weihnachtssterne auf dem Kopf! Unerhört! Na, ich bin mal gespannt.
Als ich gegen 20.30 Uhr vor die Tür des Farmhauses trete und zum Himmel schaue, stehe ich
starr vor Staunen angesichts des prachtvollen Anblicks, und das, obwohl meine Augen noch nicht
an die Dunkelheit adaptiert sind. Da steht mein Lieblingsbild, der Orion, hoch im Nord-Osten
und sein „Gewand“ ist durchwirkt von Hunderten Sternen. Rechts neben ihm das leuchtende Band
der Milchstraße. Mit jeder Stunde steigt das Sternbild höher, bis es um Mitternacht hoch im
Norden kulminiert. Merkwürdig verzerrt sieht es aus, das vertraute Bild. Die Gürtelsterne haben
zwar eine ähnliche Schräglage wie in Deutschland, aber Beteigeuze steht jetzt unten rechts und
Rigel oben links. Das Schwertgehänge befindet sich oberhalb der Gürtelsterne und die Milchstraße
auf der rechten Seite. Ich stelle mich nun in Richtung Süden und lege meinen Kopf weit in den Nacken.
Da ist sie nun wieder, die vertraute Konstellation, die mich im europäischen Winter seit Jugendtagen
begleitet hat: das Wintersternbild Orion. Drehe ich mich wieder nach Norden, so erblicke ich das
namibianische Sommersternbild Orion. Hatte ich ihn im Juli von dieser Stelle aus tief im Osten vor
der Morgendämmerung im winterlichen Wüstenfrost nur kurz beobachten können, so vertiefe ich
mich jetzt bei angenehm warmen Temperaturen stundenlang in seinen Anblick.
Am Tag vor dem Heiligen Abend stehe ich mit Irene mitten in der Namib-Wüste im Sossusvlei,
zwischen unseren Füße der eigene Schatten, dicht vor uns der Notenständer, in der Ferne die
hohen Sanddünen der uralten Namib, 32o C im Schatten, 62 o C im Sand. In dulci jubilo, zweistimmig
auf Gemshörnern geblasen. Einmalig in der Geschichte des Vleis, der Namib, ja des Kosmos.
Siggi Straube lächelt und macht Fotos. Am nächsten Tag, Heiligabend, ist die ganze Familie
Straube auf der Farm erschienen: Außer Walter, Waltraud und Friedhelm, die ständig auf der Farm
leben, finden sich Straube-Sohn Ali mit Frau Doro und Kindern Timo und Ronja ein. Dann Straube-Sohn
Siggi mit Freundin Loraine und Kind Runa, Straube-Tochter Ursel mit ihrem Mann Ralf und schließlich
Walters Ex-Frau Elisabeth. Auch Doros Schwester und die Eltern aus Tsumeb tauchen noch auf.
So ist zum ersten Mal die gesamte Familie zusammen. Stören wir da nicht? Mitnichten! Wir sind
herzlich willkommen.
Am Heiligen Morgen fahren wir nach Hohenheim in den Busch und sägen Äste der Weißdorn-Akazie ab.
Sie blüht mit kleinen gelben Kügelchen. Das ist nun unser Weihnachtsbaum. Zur Zeit der kurzen
Schatten wird er zur Farm gefahren und ins Wohnzimmer gestellt und mit einer Lichterkette und
Kugeln geschmückt. Auch Stall und Krippe werden aufgebaut. Auf dem Tisch steht der Adventskranz.
Man holt vier Kerzen aus dem Kühlschrank und steckt sie in den Kranz. Nach einigen Stunden biegen
sie sich schon in der sommerlichen Hitze. Es wird dunkel. Friedhelm spricht das Gebet beim Abendessen.
Auf einmal kommt bei mir so etwas wie Weihnachtsstimmung auf. Völlig unerwartet ertönt aus den
Lautsprechern nicht etwa „Jingle Bells“ oder „White Christmas“ sondern wohlvertraute und liebe
Weisen wie „Also hat Gott die Welt geliebt“ „Veni, veni Emanuel“ von Kodaly, das wir vor wenigen
Tagen noch im Krefelder Konzert gesungen haben, und „Übers Gebirg Maria geht“. Durch die
Scheiben sehe ich die Konturen der Hakosberge gegen blau-schwarzen Himmel. „Übers Gebirg Maria
geht zu ihrer Bas’ Elisabeth“.
Wir gehen nun ins Wohnzimmer. Die Kinder führen ein Krippenspiel auf, einige Erwachsene spielen
mit. Walter als Heiliger Dreikönig mit Krone: Köstlich! Jetzt musizieren wir unsere Weihnachtsstücke
auf Gemshörnern, Blockflöten und Dudelsack. Walter ist überwältigt und fällt Irene um den Hals.
Loraine und ich spielen noch einige Lieder auf der Blockflöte, da bimmelt es draußen und wir
sehen gerade noch den Weihnachtsmann im roten Gewand über den Vorplatz in Richtung des Schuppens
huschen. Ein großer Sack mit Geschenken steht vor dem Tor. Vor dem Christbaum sind Geschenke
aufgebaut, viele Geschenke, auch einige für Irene und Elmar. Ein lustiges Treiben: Erwachsene und
Kinder auf dem Boden, öffnen ihre Pakete und freuen sich. Loraine erklärt ihre Aquatintaradierungen
und Walter freut sich über seine neue Jacke und sein Schnapsservierbrett mit Klingel. Ich mache Fotos.
Die Großfamilie leuchtet. Hakos total!
Und draußen über meinem Haupte steht kopfüber der Orion und streckt seine eisigen Hände gen
Norden, während seine Füße im warmen Süden stehen. Drinnen schwärmt Elisabeth von alten Zeiten,
die Kinder von Micky Mouse und Waltraud von Jesus Christus, und ich schwärme hier draußen vom
Orion und jauchze, frohlocke unterm gestirnten Himmelszelt.
Wirklich eine nette heilige Familie da drin’.
Weihnachten unter südlichen Sternen
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